Newtons Gesetze der Mechanik

Newtons Gesetze der Mechanik
Newtons Gesetze der Mechanik
 
In einem Brief erinnerte 1718 Isaac Newton an die wissenschaftlich fruchtbarste Zeit seines Lebens, als er in den beiden Pestjahren 1665/66 die Grundlagen für den Infinitesimalkalkül und seine Gravitationstheorie legte. Bereits mit dem 1638 von Galileo Galilei in den »Discorsi« veröffentlichten Gesetz für den freien Fall und zumindest mit dem dritten keplerschen Gesetz vertraut, hatte er die Kraft ermittelt, »mit der ein im Innern einer Kugel rollendes Kügelchen auf die Oberfläche der Kugel drückt«. Unter der Voraussetzung kreisförmiger Planetenbahnen hatte er gefolgert, »dass die Kräfte, die die Planeten auf ihren Bahnen halten, umgekehrt proportional zu den Quadraten ihrer Abstände von den Mittelpunkten sein müssen, die sie umlaufen«.
 
Ausgangspunkt solcher Überlegungen war das von René Descartes formulierte Trägheitsgesetz. Danach verharrt ein Körper in Ruhe oder dem Zustand der geradlinigen Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit, solange keine äußeren Kräfte auf ihn wirken. Auf einen Körper, der sich auf einer gekrümmten Bahn bewegt, müssen deshalb äußere Kräfte wirken, die Newton für den einfachsten Fall einer mit konstanter Geschwindigkeit durchlaufenen Kreisbahn bestimmen konnte. Newton hat dann aus der so ermittelten konstanten Zentripetalkraft und dem dritten keplerschen Gesetz, unter der speziellen Voraussetzung, dass die Planeten mit gleichförmiger Geschwindigkeit auf Kreisen um die im Mittelpunkt ruhende Sonne laufen, das von ihm beanspruchte inverse Abstandsquadratgesetz für die von der Sonne auf die Planeten ausgeübte Anziehungskraft berechnet. Nach dem galileischen Gesetz für den freien Fall eines Körpers verhalten sich die von dem Körper zurückgelegten Strecken so wie die Quadrate der seit Beginn des Falls verstrichenen Zeiten. Newton dehnte den Gültigkeitsbereich des Quadratgesetzes früh auf das gesamte Sonnensystem aus. Danach würde der Mond unter der Wirkung der von der Erde ausgeübten Schwerkraft demselben Quadratgesetz folgend wie ein in die Höhe geworfener Stein auf die Erde fallen. Er fällt aber nach Newton deshalb nicht auf die Erde, weil die sich aus seinem Umlauf um die Erde ergebende Zentrifugalkraft die Wirkung der von der Erde ausgeübten Schwerkraft gerade aufhebt.
 
Wichtig für die endgültige Ausarbeitung seiner Mechanik waren für Newton die keplerschen Gesetze der Planetenbewegung. Danach bewegen sich die Planeten nicht, wie Kopernikus angenommen hatte, mit konstanter Geschwindigkeit auf Kreisbahnen um die Sonne. Vielmehr sind ihre Bahnen elliptisch, und ihre Geschwindigkeit ändert sich kontinuierlich nach dem Flächensatz, wonach die Verbindungsgerade zwischen den Mittelpunkten der Sonne und eines Planeten in gleichen Zeiten gleiche Flächen überstreicht, und schließlich ist das Verhältnis des Quadrats der Umlaufzeit eines Planeten zur dritten Potenz seines mittleren Abstands von der Sonne für alle Planeten unseres Sonnensystems gleich.
 
Die Idee, die Planetenbewegungen und die Erscheinungen des freien Falls und des Wurfs als Wirkungen eines einzigen Prinzips »von größter Allgemeingültigkeit«, des Gravitationsprinzips, zu verstehen, war schon Mitte der 1660er-Jahre von Robert Hooke geäußert worden. Hooke war auch davon überzeugt, dass die elliptischen Planetenbahnen genau einem dem Gravitationsprinzip entsprechenden inversen Abstandsquadratgesetz folgen. Er konnte seine Vermutungen aber nicht beweisen und stellte deshalb verschiedenen Mitgliedern der Royal Society das Problem, aus einer von der Sonne ausgehenden Anziehungskraft, die mit dem Quadrat der Entfernung abnimmt, also einem inversen Abstandsquadratgesetz genügt, die bekannten Planetenbewegungen abzuleiten. Vor Newton, dem Hooke dieses Problem 1679 vorlegte, war es niemandem gelungen, eine mathematisch befriedigende Lösung anzubieten.
 
 Newton entdeckt das Gravitationsprinzip
 
Newton stellte seine wahrscheinlich noch 1679 gefundene Lösung dem Astronomen Edmond Halley 1684 vor. Tief beeindruckt, regte Halley an, Newton solle die Voraussetzungen für diese Lösung mit all ihren Konsequenzen niederschreiben. So entstand in etwa 18 Monaten das Manuskript für die »Philosophiae naturalis principia mathematica«, die »Mathematischen Prinzipien der Naturlehre«, kurz »Principia« genannt. Die gedruckte Fassung des Werks von 1687 enthält drei Bücher. Im ersten Buch entwickelt Newton die Grundlagen einer auf dem Kraftbegriff beruhenden Bewegungslehre, um damit im dritten Buch die damals bestehenden Probleme der Himmelsmechanik zu lösen. Das zweite behandelt die Bewegung von Körpern in Widerstand leistenden Medien. Für die spätere Wirkung des Werks war vor allem das dritte, »Über das Weltsystem« betitelte Buch entscheidend, das alle damals bekannten Bewegungen von Himmelskörpern in unserem Sonnensystem aus einem einzigen Prinzip herleiten konnte. Nach dem allgemeinen Gravitationsprinzip wirkt die Schwerkraft auf alle Körper und ist für jeden proportional zu seiner Masse. Newton verband damit einen für seine Zeitgenossen nahezu unfassbar weiten Gültigkeitsanspruch vom freien Fall bis zu einer Theorie der Bewegung und Natur der Kometen. Seine Durchsetzung bot später ein Motiv für Newtons Verherrlichung als übermenschliches Genie.
 
Anders als seine Gegner versuchte Newton nicht, das Wirken der Schwerkraft durch zusätzliche Hypothesen zu erklären. Dieses aus seiner Sicht nur scheinbare Defizit verstand er als Argument für den Wahrheitsanspruch seiner Mechanik, in der solche Hypothesen keinen Platz haben sollten. Newton benutzte als Bezugssystem für die von ihm mathematisch beschriebenen Körperbewegungen den unendlich ausgedehnten absoluten Raum. Hauptziel der von ihm geschaffenen neuen Mechanik war es, Bewegungen und ihre Ursachen, die zwischen Massen wirksamen Kräfte, in diesem System zu bestimmen. Wirkungsgeschichtlich gesehen, stellte Newtons Entscheidung für absoluten Raum und Zeit einen wesentlichen Teil eines physikalischen Programms dar, das einfach genug war, um mit dem verfügbaren mathematischen Instrumentarium durchgeführt zu werden, das aber auch hinreichend komplex war, um den Aufgaben der folgenden zwei Jahrhunderte gerecht werden zu können. Die Grundlage dieses Programms waren die drei Bewegungsgesetze: Ein Körper verharrt im Zustand der Bewegung oder der Ruhe, solange keine äußeren Kräfte auf ihn wirken; jede Kraftwirkung auf einen Körper zieht eine der Dauer der Wirkung entsprechende Änderung seines Impulses nach sich; jeder Kraft entspricht eine gleich große Gegenkraft. Gerade das dritte Bewegungsgesetz setzte die strenge Gültigkeit der keplerschen Gesetze außer Kraft, weil danach nicht nur die Planeten von der Sonne angezogen werden, sondern auch die Sonne von den Planeten.
 
Einer der für den Aufbau der »Principia« wesentlichen Sätze, die auf der Basis der drei Bewegungsgesetze abgeleitet wurden, besagt, dass die von einer homogenen Kugel auf einen Körper außerhalb von ihr ausgeübte Kraft auch noch in unmittelbarer Nähe der Kugeloberfläche dem inversen Abstandsquadratgesetz folgt. Damit war bewiesen, dass ein Apfel derselben Gravitationskraft gehorcht wie der von der Erde auf seiner Bahn gehaltene Mond. Wenn Newton, wie er später glauben machte, das Schlüsselerlebnis für die Gravitationstheorie hatte, als er im Sommer 1666 in einem Garten in Lincolnshire einen Apfel zur Erde fallen sah, dann war die durch den Apfelfall geförderte Einsicht zumindest bis zu dem erst 1685 erbrachten Beweis dieses Satzes erheblich behindert.
 
 Die Wirkung der »Principia«
 
Mit den »Principia« war eine der wichtigsten Phasen der neuzeitlichen Wissenschaftsentwicklung abgeschlossen. Sie boten die Grundlage einer Denk- und Forschungsrichtung, des Newtonianismus, der die Entwicklung von Physik und Astronomie bis weit ins 19. Jahrhundert bestimmte. Die konsequente Weiterführung der von Newton formulierten Forschungsregeln veranlasste Ernst Mach in seiner Mechanik von 1883 dazu, den absoluten Raum als nicht mehr tragfähig zu eliminieren. Machs Kritik an Newtons absolutem Raum initiierte das Programm einer Physik relativer Bewegungen, für das sich eine Reihe von Physikern und Mathematikern zu interessieren begann. Albert Einsteins Infragestellung vorher unproblematischer Begriffe wie Gleichzeitigkeit und Abstand führte zu einer Relativitätstheorie, mit der die raumzeitlichen Vorstellungen Newtons ihre Gültigkeit verloren.
 
Prof. Dr. Ivo Schneider

Universal-Lexikon. 2012.

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